Wednesday, 10 October 2007

Caravaggio und Derek Jarman

Wie von einem Film über einen Künstler zu erwarten, ist Derek Jarmans Film Caravaggio (1986) voller Anspielungen auf das Werk des italienischen Malers Caravaggios (1571-1610). Im Gegensatz zu dem Vermeer-Film Das Mädchen mit dem Perlenohrring schafft Jarman aber kein "Historiengemälde" mit historisch exakten Kulissen (, wobei auch hier einzelne Kameraeinstellungen betont stillebenhaft und geschult an der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts inszeniert sind), sondern liefert eine Interpretation des Künstlers, seines Lebens und seiner Kunst im Allgemeinen. Die in den Film verwoben kunsthistorischen Referenzen beziehen sich dabei nicht nur auf Caravaggio, und die Inkonsistenzen in der historischen Ausstattung eröffnen Blickwinkel auf Caravaggios Kunst, die zum Nachdenken anregen und die Reflexion über den Künstler befruchten. Das macht den Film nicht zu einem primären Unterhaltungsfilm, sondern zu einem Film über die Kunst allgemein, und darin ungemein spannend.
Jarmans Film zeigt Gemälde Caravaggios nicht nur im Entstehungsprozess, sondern verarbeitet auch eine ganze Reihe von Bildern in die eigentlich Handlung, überträgt die früheren Bildinhalte auf die Biographie des Künstlers und macht die ursprünglichen Gemälde zu "lebenden Bildern" im Wortsinn. Dadurch greift Jarman auf einen bildkünstlerischen Trick des 19. Jahrhunderts zurück, den Werner Busch in ganz anderem Zusammenhang einmal als Säkularisierung der christlichen Bildinhalte beschrieb. Durch die Übernahme der christlichen Bildtradition auf ein profanes Thema werden selbige aber nicht nur säkularisiert, das dargestellte profane Thema wird stellenweise auch entschieden aufgewertet: die Assoziierung mit dem ursprünglichen christlichen Bildinhalt legt sich über die nun profane Darstellung und erweitert die Bedeutung.
So legt Jarman einer Szene bezeichnenderweise ein Gemälde Caravaggios zugrunde, das den zweifelnden Thomas zeigt, wie er die Wundmahle des auferstandenen Christus berührt, und ersetzt Christus durch Caravaggio selbst. Diese Gleichsetzung des Künstlers mit Christus ist nicht zufällung und in der Kunstgeschichte gerade in der Gattung "Selbstproträt" nicht neu, erinnert sei nur an Albrecht Dürers Selbstporträt (1500, Holz, 67 × 49 cm, München, Alte Pinakothek).










Filmszene













Caravaggio
Doubting Thomas, 1602-03.
Oil/canvas.
Potsdam, Sanssouci.

Im Kontext der Filmnarration, ist sie aber bewusst gewähltes Stilmittel und spiegelt nicht das Selbstverständnis des Künstlers wieder, sondern die Interpretation des Regisseurs, der das Leben Caravaggios grundsätzlich voller Anspielung auf die Leidensgeschichte Christi erzählt: da wird die Idee des Judas-Kusses aufgegriffen, wenn der junge Liebhaber Ranuccio aus dem Gefängnis entlassen wird. Deswegen wird die zweifelhafte Lena, die im Film bezeichnenderweise als Maria Magdalena posiert, in einer relativ engen Beziehung zum Künstler gezeigt und so die Idee der Maria Magdalena als Geliebte Christi aufgegriffen. Nicht zuletzt und vor allem ist dies der Grund, warum Jarman den Tod Caravaggios wiederum über die Komposition des Gemäldes Caravaggios zu Christis Grablegung visualisiert.










Filmszene
















Caravaggio
Christ's entombment,1602-1604.
Oil/canvas, 300 × 203 cm.
Rome, Pinacoteca Vaticana

Deutlicher kann man die Lebensgeschichte eines Künstlers nicht mehr als Leidensgeschichte inszenieren.
Universalität gewinnt diese Inszenierung durch ihre ahistorische Ausstattung, die am Theater orientierte Verweigerung illusionistischer Lebensnachahmung, sowie durch kunsthistorische Referenzen auf Gemälde anderer Epochen, so wie Jaques Louis Davids Tod des Marat (1793, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts) bei der Darstellung des Kunstkritikers. Hier geht es mehr um die sich über die Zeiten kaum verändernden Strukturen der Kunstvermarktung. Der französische Salon Post veröffentlichenwurde im späten 18. Jahrhundert für den Bilderverkauf gerade auch für Künstler wie David von Bedeutung und so ist es nicht verwunderlich, dass Jarman ausgerechnet den Kunstkritiker in die Maratsche Badewanne setzt.
Die Anspielungen Jarmans sind dabei mehrdeutig, hier wird kein platter Vergleich geliefert, sondern mit Assoziatiossträngen gespielt, die, wie gesagt, zur Reflexion anregen. Wenn man so will, ist Jarmans Filmerzählung arabesk, im Sinne des 19. Jahrhunderts. Und so kann man bei jedem Mal sehen man ein bißchen mehr entdecken.